Am 30.11.2011 veranstaltet die Grüne Bundestagsfraktion ein öffentliches Fachgespräch zum Schutz von Whistleblowern. Konkret wollen wir zwischen 16:30 – 19:30 im Jakob-Kaiser-Haus (Raum 1.554) im Deutschen Bundestag (Dorotheenstraße 101, 10117 Berlin) mit zahlreichen Gästen über unseren Grünen Gesetzentwurf zum Schutz von Hinweisgeberinnen und Hinweisgebern diskutieren, den wir derzeit online diskutieren lassen. Hier findet Ihr einen ausführlichen Blogbeitrag.
Um was es geht
Missstände in Unternehmen oder Institutionen werden in vielen Fällen erst durch Hinweise einzelner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter (sogenannter „Whistleblowern“) aufgedeckt.
Oft besteht ein großes öffentliches Interesse an diesen Informationen, zu denen nur ein begrenzter Personenkreis Zugang hat, so im Pflegebereich oder bei der Aufdeckung von Lebensmittelskandalen. Dennoch drohen Beschäftigten, die solche Missstände publik machen, häufig arbeits- und dienstrechtliche Konsequenzen. Hierdurch entsteht für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ein Gewissenskonflikt, der durch die gesetzliche Verankerung des Whistleblower-Schutzes aufgelöst werden kann.
In einigen Staaten gibt es bereits Schutzvorschriften. Auch auf internationaler Ebene wird der Schutz von Whistleblowern gefordert: Der Europäische Gerichtshofs für Menschenrechte hat Deutschland vor kurzem wegen der Verletzung der Meinungsfreiheit verurteilt. In dem Antikorruptions-Aktionsplan der G20-Staaten hat sich auch die Bundesregierung zum Schutz von Whistleblowern bekannt und angekündigt, bis Ende 2012 Regeln zum Whistleblower-Schutz zu erlassen.
Als Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen reagieren wir auf dieses Schutzbedürfnis. Bereits in unserem Gesetzentwurf zum Beschäftigtendatenschutz (auch diesen Gesetzentwurf haben wir bereits online diskutieren lassen, womit wir sehr positive Erfahrungen gemacht haben) einen entsprechenden Passus aufgenommen. In Kürze werden wir eine eigene Gesetzesvorlage zur Verbesserung des Schutzes von Hinweisgeberinnen und Hinweisgebern in den Bundestag einbringen, die Änderungen sowohl im Arbeits- als auch im Beamtenrecht vorsieht.
Im Anschluss an die Online-Diskussion wollen wir unseren Gesetzesentwurf nun im Rahmen eines öffentlichen Fachgesprächs vorstellen und freuen uns auf eine bereichernde Diskussion.
Programm
16.30 | Begrüßung
|
16.40 | Erste Podiumsrunde
Moderation: Ingrid Hönlinger MdB
|
17.50 | Pause
|
18.20 | Zweite Podiumsrunde
Moderation: Konstantin von Notz MdB |
Wichtiger Hinweis
Aufgrund der Sicherheitsbestimmungen des Deutschen Bundestages ist eine namentliche Anmeldung mit Angabe des Geburtsdatums bis zum 24.11.2011 erforderlich. Um in das Jakob-Kaiser-Haus zu gelangen, benötigen Sie Ihren Personalausweis, Pass oder ein gleichwertiges Ausweisdokument.
Anreise
Mit der S-Bahn bis zur Haltestelle “Friedrichstraße” oder “Brandenburger Tor” oder mit dem Bus 100 bis zur Haltestelle “Reichstag/Bundestag” oder mit dem Bus TXL bis Haltestelle “Marschallbrücke”. Über den Eingang Dorotheenstraße 101 gelangen Sie zum Veranstaltungsort.
Barrierefreiheit
Der Tagungsort ist barrierefrei zugänglich. Sollten Sie aufgrund einer Behinderung z. B. einen Gebärdendolmetscher benötigen, bitten wir Sie, mit uns Kontakt aufzunehmen.
Sehr geehrte Autoren des Gesetzesentwurfs,
in der Begründung zu Ihrem Gesetzesentwurf werden auf S. 8f in vortrefflicher Weise die Situationen beleuchtet, in die ein Whistleblower geraten kann. Weiterhin wird dort ausgeführt, dass das ArbSchG und das BetrVG (§§ 84 u. 85, Beschwerderecht) unzulänglich seien.
Genau daran sollte man anknüpfen. Daher werden nachfolgende aufeinander abgestimmte Gesetzesänderungen vorgeschlagen; dabei wird auf die Beschwerdeführung allgemein abgehoben und das inhaltliche Merkmal des „Whistleblowing“ oder der „Hinweisgebung“ bewusst vermieden, u.a. um die ggfs.gerichtliche Nachweispflicht der legitimen Ausübung solcher Rechte von vornherein zu umgehen:
• Das ArbSchG wird novelliert. Dabei wird der in der jetzigen Fassung zwar bereits vertretene, aber noch zu schwach ausgeprägte soziale Arbeitsschutz stärker untermauert, insbes. auch der Schutz vor Repressalien bei Wahrnehmung des Beschwerderechts.
• Es wird eine entsprechende Verordnung zum sozialen Arbeitsschutz mit zusätzlichem Bezug zur Beschwerdeführung erlassen. Denn ganz wichtig sind die Verordnungen zum ArbSchG, da diese für die Umsetzung durch die Arbeitsschutzbehörden die entscheidenden, rechtsverbindlichen Vorschriften enthalten. Für den Fall der Zuwiderhandlung, dh. bei Ausübung von gesetzeswidrigen Repressalien werden dem Arbeitgeber Bußgelder angedroht.
• Eventl. sind bzgl. der Verordnungen auch die §§ 18f ArbSchG zu erweitern.
• Des weiteren werden die Ausführungsbestimmungen für die Arbeitsschutzbehörden, nämlich LASI LV (LASI LV 31, 34, 52 u. 54 etc.) angepasst. Der derzeitige unverbindliche Charakter dieser LV als Empfehlungen wird verbindlicher gestaltet.
• Das BetrVG wird novelliert, dahingehend, dass das Beschwerderecht gemäß §§ 84, 85 BetrVG erweitert wird: Stärker als bisher sollte er das Recht auf vertrauliches Gehör zugesichert bekommen, wenn er sein bereits per §§ 84, u. 85 BetrVG verbrieftes Recht (bzw. bei allgemeinen Missständen sogar moralische Pflicht ) wahrnimmt und sich dazu gleich an betriebsexterne Stellen wenden kann, nämlich an:
die zuständige Arbeitsschutzbehörde oder
die tariflich zuständige Gewerkschaft.
Meldungen bei diesen Stellen sollten ohne irgendein Risiko sein, dafür Nachteile zu erleiden wegen etwaigen Verstoßes gegen das arbeitsrechtliche Treuegebot durch den Vorwurf der Bekanntmachung von Firmeninterna nach „extern“; stattdessen würden diese „externen“ Beschwerde-Stellen zur Vertraulichkeit verpflichtet und den firmeninternen Stellen gleichgesetzt.
Diese Stellen müssten im Betrieb allgemein als potentielle Beschwerde-Stellen bekannt gemacht werden.
Die angesprochene Beschwerdestelle hätte die Verantwortung, dafür, dass die zuständige operative Stelle in der Arbeitsschutzbehörde beauftragt wird, zu intervenieren und der Beschwerde — mit der angemessenen Vertraulichkeit, versteht sich — nachzugehen.
Dem Auftraggeber würde auferlegt, Abhilfe zu schaffen, zB. im Fall eines sozialen Arbeitsplatzkonflikts eine Mediation zu organisieren
Hintertreibt dies ein Arbeitgeber böswillig, würde er zu einem Bußgeld verurteilt
• Und wenn es dann doch zum Arbeitsgerichtsverfahren kommt, sollte das Maßregelungsverbot des BGB konsequenter als derzeit üblich angewandt werden:
Bei jeder Kündigung sollte streng und gleich zu Beginn eines Kündigungsschutzverfahrens geprüft werden, ob ein Whistleblowing-Hintergrund kündigungsbegründend war
Zu entsprechenden Hinweisen des Klägers (also des Arbeitnehmer) an das Gericht sollten Beweise erhoben werden, was derzeit viel zu selten geschieht, da die Arbeitsgerichte von vornherein einen Vergleich ansteuern
Insbesondere ist zu differenzieren, ob es sich um berechtigte Kritik handelt
aus Sicht der Gesellschaft (besonders schwerwiegender Verstoß des AG)
aus Sicht des Unternehmens
(häufig nicht gleichzusetzen mit der Interessenlage dessen Managements)
aus subjektiver Sicht des Arbeitnehmers und
ob sich der Arbeitnehmer zuvor um eine gütliche Konfliktbeilegung bemüht hat
nur bei grob fahrlässigem Missbrauch des Beschwerderechts durch den Arbeitnehmer ist dieser zu sanktionieren
Als Grundvoraussetzung sollte die Wahrheitspflicht gemäß §138 ZPO durchgesetzt werden, da in diesem Rahmen besonders relevant (natürlich für beide Parteien), insbesondere sollten Vertuschung und falsche Angaben des betreffenden Arbeitgebers streng geahndet werden (umgekehrt natürlich auch, wenn der Arbeitnehmer den Arbeitgeber bewusst verleumdet, aber das wird ja jetzt schon streng geahndet).
Wird bei einer Kündigung ein Whistleblowing-Hintergrund als kündigungsbegründend festgestellt, sollte dem betreffenden Arbeitgeber ein angemessenes Bußgeld auferlegt werden
• Wichtig wäre es auch, dass die Anforderung an das Vertrauen u. an die Treupflicht im Arbeitsverhältnis, die in der Arbeitsgerichtsbarkeit überspannt sind, im Sinne des Verhältnismäßigkeitsgebots des Art. 20 GG zurechtgerückt werden.
• Zum §612a BGB: Im BGB ist in der Tat das Maßregelungsverbot § 612a BGB die zentrale Gesetzesnorm, die ja bereits in der jetzigen Fassung dem beschwerdeführenden Arbeitnehmer den erforderlichen Schutz vor Repressalien bieten sollte, und zwar bei jedweder zulässigen Ausübung seiner Rechte bieten, also auch bei Whistleblowing. Aber leider ist das häufig nur Theorie und bleibt Theorie, auch bei einem um §612b erweiterten Gesetzestext.
Denn in der Praxis schert sich nun einmal ein kritikempfindlicher Arbeitgeber häufig nicht um ein solches Gesetz, und er würde sich auch bei einem erweiterten Gesetzestext § 612b nicht darum scheren. Er wäre überzeugt, dass es ihn gar nicht betrifft.
Außerdem hätte ein dezidiertes Whistleblowing-Gesetz mit der expliziten Qualifizierung der Beschwerde als Whistleblowing den entscheidenden Nachteil, dass ein Arbeitnehmer sich in Sicherheit wiegen könnte und dem Arbeitgeber offen die Beschwerde vorträgt in der Meinung, er werde ja durch das Gesetz geschützt, auch in Fällen, wo eigentlich eine vertrauliche und anonyme Beschwerdeführung bei der Arbeitsschutzbehörde angezeigt wäre. Die Gegenreaktion eines kritikempfindlichen Arbeitgebers käme bestimmt, auch trotz Whistleblowing-Gesetz. Die Reaktion des Arbeitgebers würde sich dann natürlich nicht offiziell auf das Whistleblowing beziehen, so dumm wird er nicht sein; vielmehr würde es der Arbeitgeber entrüstet von sich weisen, dass er etwas gegen Hinweise auf Missstände habe. Insgeheim würde er jedoch auf eine günstige Gelegenheit warten, um dann irgendeinen Vorwand für Repressalien gegen den „störenden“ Whistleblower zu erfinden — das ist doch schon immer gängige Praxis.
Und wenn es zum Arbeitsgerichtsprozess kommt, steht bekanntlich die Verletzung der Treuepflicht im Vordergrund, und der Arbeitnehmer hat die Beweislast, mit der er häufig nicht durchdringt, da der Arbeitgeber Zerrüttung oder unkooperatives Verhalten des Arbeitnehmers anführt, und Nebenkriegsschauplätze aufmacht, unabhängig vom Wahrheitsgehalt.
Folglich müsste das Maßregelungsverbot § 612a bei der Umsetzung im Arbeitsleben und in der richterlichen Praxis einen anderen Stellenwert bekommen, zB. durch entsprechende Gesetzeskommentare, Grundsatzurteile, Berücksichtigung während der Richterausbildung. Das wäre mindestens so wichtig wie die Erweiterung des Gesetzestextes des § 612a gemäß dem Gesetzesentwurf § 612b.
Fazit: ein Whistleblowing-Gesetz alleine und ohne Zusatzmaßnahmen wäre wohl leider ein stumpfes Schwert Das Entscheidende ist, die Möglichkeit vertraulicher Beschwerden an extern dafür eingerichtete Stellen zu institutionalisieren.
Sehr geehrter Herr Peltason,
vielen Dank für Ihre Anregungen und Verbesserungsvorschläge. Bitte haben Sie Verständnis, dass wir an dieser Stelle nicht auf jeden Punkt Ihrer Stellungnahme im Detail eingehen können.
Aus unserer Sicht kann das Problem des mangelnden Schutzes von Whistleblowern nicht durch eine Novellierung des ArbSchG und des BetrVG erreicht werden, da beide Gesetze in ihrem Anwendungsbereich zu eng sind (vgl. §§ 1, 2 ArbSchG und § 1 BetrVG) und daher keinen umfassenden Schutz bieten können. Daher haben wir uns für eine Regelung im BGB, genauer gesagt im Arbeitsrecht entschieden.
Um dem Arbeitnehmer durch das Maßregelungsverbot einen effektiveren Schutz zu gewähren, haben wir in unserem Gesetzesentwurf eine Änderung in § 612a BGB vorgeschlagen. § 612a II BGB enthält eine Beweislastregelung, nach der der Arbeitgeber die Beweislast trägt, dass kein Verstoß gegen das Maßregelungsverbot vorliegt, sofern der Arbeitnehmer entsprechende Tatsachen glaubhaft macht. Diese Beweislastregelung ist auch gerade deshalb wichtig, da es für den Arbeitnehmer nahezu unmöglich ist zu beweisen, dass er durch den Arbeitgeber gerade aufgrund von Whistleblowing benachteiligt wird.
Wir denken, dass nach unserem Gesetzesentwurf, der im Übrigen auch anonymes Whistleblowing nicht ausschließt, der Schutz für Whistleblower stark verbessert werden kann.
Selbstverständlich werden wir Ihre Vorschläge, insbesondere zur Ausgestaltung der außerbetrieblichen Stelle, weiter prüfen und ggf. bei der Überarbeitung des Gesetzentwurfs berücksichtigen.